Do.
06.06.2002
Alarmierende Entwicklung Seit Jahren zunehmend Warnungen vor Antisemitismus Wer glaubte, die Attraktivität des Antisemitismus würde zunehmend verblassen, wurde bitter enttäuscht.
Veränderter Tonfall und Umgang mit den jüdischen Gemeinden Do.06.06.02 - Die Jüdische Gemeinden in Deutschland erleben seit der Wiedervereinigung Deutschlands eine widersprüchliche Entwicklung - einerseits ein erstarkendes jüdisches Gemeindeleben wie seit 1945 nicht mehr, andererseits eine stärker werdende Israel-Kritik in Deutschland angesichts der dramatischen aktuellen Ereignisse in Nahost, bei denen viele Juden auch wieder stärker werdende unterschwellige antisemitische Töne heraushören. Anschläge auf jüdische Einrichtungen wie Synagogen und Friedhöfe gingen damit einher. So zog der im August 1999 gestorbene Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, in seinen letzten Jahren eine bittere Lebensbilanz, die vermutlich nicht unwesentlich geprägt war von seinen Auseinandersetzungen mit dem Schriftsteller Martin Walser nach dessen umstrittener Paulskirchen-Rede ein Jahr zuvor: Mehr als 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wolle die Mehrheit der Deutschen von den Nazi-Verbrechen nichts mehr hören. "Es gibt hier zu viele Walsers, die von der Vergangenheit nichts mehr wissen wollen." Jeder in Deutschland fühle sich verantwortlich für Schiller, Goethe und Beethoven, aber keiner für Himmler. "Ein Großteil denkt wie Martin Walser: Ende. Zeit, Schluss zu machen." Die heutige Politikergeneration fahre eine "sanfte Walser-Tour". Nachfolger Paul Spiegel wollte Bubis in dieser resignativen Sichtweise nicht folgen. Er habe geglaubt, "die Attraktivität des Antisemitismus würde zunehmend verblassen" und das deutsche Judentum wieder zu einem vitalen Bestandteil der deutschen Gesellschaft werden. Er bereue diese Zuversicht nicht, meinte Spiegel im Oktober vergangenen Jahres bei der Vorstellung seiner Memoiren mit dem vielsagend fragenden Titel "Wieder zu Hause?". "Fast zwei Jahre später aber muss ich einräumen, dass ich die alarmierende Entwicklung entweder nicht vorausgesehen habe oder nicht wahrhaben wollte." Walser habe mit seiner Warnung, Auschwitz als "Moralkeule" zu benutzen, gegen einen bis dahin geltenden Konsens der kultivierten Nachkriegsgesellschaft verstoßen und geistige Brandstiftung begangen. Schon zuvor hatte 1994 der damalige Vorsitzende der rechtsradikalen Republikaner, Franz Schönhuber, nach dem Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge gesagt: "Derjenige, der in Deutschland für den Antisemitismus sorgt, ist der Herr Bubis." Nun hat Jürgen Möllemann nach Ansicht Spiegels noch "eins draufgesetzt", mit der "schlimmsten Beleidigung, die ein prominenter Politiker einer demokratischen Partei seit 1945 gegenüber einem Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ausgesprochen hat". Im Oktober 1997 bemerkte der damalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, auf der politischen Seite bereits einen veränderten Tonfall und Umgang mit dem Vorsitzenden der größten Jüdischen Gemeinde Deutschlands, deren langjähriger Vorsitzender Heinz Galinski war. "Manchmal denke ich mir, so hätte der mit Galinski nicht geredet." Es habe sich eine Einstellung geändert, es sei immer weniger eine Herzensangelegenheit, meinte der Historiker. "Man trampelt auf einer dünnen Eisdecke herum, als wäre sie schon meterdick", meinte Nachama. Es gebe in bestimmten politischen Kreisen die Auffassung, mit den toten Juden könne man ja ganz gut umgehen, aber die lebendigen machten halt manchmal Probleme. Der 1947 in Israel als Kind deutsch-jüdischer Emigranten geborene Schriftsteller Rafael Seligmann meinte zum damaligen Bubis-Walser-Streit: "Der Völkermord an den Juden hat tiefe Wunden geschlagen. Sie wurden ein halbes Jahrhundert hinter hohlem Pathos verdeckt. Nun brechen sie auf." In seinem bekanntesten Buch "Der Musterjude" heißt es an einer Stelle: "Die Deutschen buhlen um unsere Liebe. Doch sobald wir ihnen die Wahrheit sagen, sind sie gekränkt." Antisemitismus in den deutschen Printmedien Do.06.06.02 - Das American Jewish Committee (AJC) hat eine Zunahme von antisemitischen Tendenzen in der deutschen Berichterstattung beklagt. Das Komitee beruft sich dabei auf eine Untersuchung des Duisburger Institutes für Sprach- und Sozialforschung, die am Freitag in Berlin vorgestellt wurde. Deidre Berger vom AJC kritisierte eine nach ihrer Einschätzung einseitige anti-israelische Berichterstattung, die von einem zunehmenden Sensationsbedürfnis und aggressiven Tönen geprägt sei. Über die Duisburger Studie berichtete die DIE ZEIT in ihrer Ausgabe von der vergangenen Woche (http://www.zeit.de/2002/23/Politik/print_200223_antisemitismus.html). Beispiele aus der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der tageszeitung, der Welt, der Frankfurter Rundschau und dem Spiegel sollen laut ZEIT belegen, dass die Berichterstattung dieser Medien dazu beitrage, "antisemitische Vorurteile zu produzieren oder auch erst herzustellen". - "Anklagende Generalisierung verschwimmt mit unverbindlicher Relativierung", heißt es dazu in der ZEIT. Und: "Ein ungebremster Jargon des Verdachts entwertet leider auch das Richtige der Arbeit." Bei den Palästinensern würden eher rassistische Negativbeschreibungen vorgenommen, sagte Jäger. So werde der Islam mit Gewalt gleichgesetzt oder die Palästinenser als "islamistische Eiferer", "religiöse Fanatiker" oder "hysterische Masse" bezeichnet. Zudem werde häufig in der Berichterstattung die angebliche militärische und politische Überlegenheit der Israelis gegenüber den Palästinensern herausgestellt. Als Beispiel nannte Jäger die Formulierung "Panzer gegen Steine". Auch würden durch Symbolik wie "Spirale der Gewalt", "Brandherd", "Pulverfass", "Flächenbrand" oder "verlängerter Arm des Volkszorns" Konflikte in unzutreffender Weise dramatisiert. Die Wissenschaftler vermissten zudem in ihrer Untersuchung ausgleichende Bilder und eine historische Einbettung der Ereignisse. Die Wissenschaftler analysierten nach eigenen Angaben insgesamt 2.505 Artikel der Tageszeitungen "Tagesspiegel", "Frankfurter Rundschau", "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Süddeutsche Zeitung", "Tageszeitung" und "Die Welt" sowie des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Besonderes Augenmerk seien den Ereignissen des Tempelbesuches von Scharon, dem Tod des palästinensischen Jungen Mohammed Al Durra, dem Lynchmord an zwei israelischen Soldaten in Ramallah sowie dem Selbstmordattentat auf eine Discothek in Tel Aviv geschenkt worden, hieß es. Jäger betonte, die Nahost-Berichterstattung sei einer Diskursanalyse unterzogen worden. Den Wissenschaftlern sei es dabei nicht um eine Wertung von "richtig oder falsch" gegangen. Die Studie zum
Antisemitismus in den deutschen Printmedien Duisburger
Institut für Sprach- und Sozialforschung: Friedman sieht erschreckendes Potenzial an Antisemitismus Update:Fr.07.06.02 - Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, sieht als Folge des Streits mit dem FDP-Politiker Jürgen Möllemann ein erschreckendes Potenzial an Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft. Der von Möllemann angezettelte Streit sei keine Tabubruch, "sondern ein Zivilisationsbruch", sagte Friedman am Donnerstagabend im ZDF. Der stellvertretende FDP-Chef Jürgen Möllemann hatte Zentralratsvize Michel Friedman vorgeworfen, mitverantwortlich für Antisemitismus zu sein. Friedman sagte, die zahlreichen zustimmenden Emails an Möllemann zeigten, dass dessen "kurzfristig angelegte Provokation" aus der Mitte der Gesellschaft ein Maß an Antisemitismus habe hervorbrechen lassen, das er nicht für möglich gehalten habe. Die eigentliche Lehre, die aus dem Streit um als antisemitisch gewertete Äußerungen von Politikern demokratischer Parteien zu ziehen sei, sei die, wie man mit dem offensichtlich vorhandenen Potenzial an Antisemitismus und Rassismus in der Gesellschaft verantwortlich umgehe. In Bezug auf den
Grundsatz "Wehret den Anfängen!" sei Möllemann "weit
über die Anfänge hinaus gegangen", sagte Friedman. Im
übrigen habe er sich nicht nur bei der FDP eine schnellere und
umfassendere Reaktion auf Möllemanns Äußerungen
gewünscht, erklärte der CDU-Politiker. Lediglich die
Grünen hätten sofort reagiert. Mi.05.06.02 Fr.31.05.02 Mo.27.05.02 Do.23.05.02 Do.16.05.02 Mo.13.05.02 Fr.18.01.02 DeutschlandRadio
Extra zur Kontroverse zwischen FDP und Zentralrat: Antisemitismus.Infoarchiv.de Informationen
über das Judentum, Antisemitismus und den Holocaust: Zentralrat der
Juden in Deutschland American
Jewish Committee (AJC) Elemente des
Antisemitismus Zur Logik des
bundesdeutschen Antizionismus (Thomas Haury): Der Staat
Israel und der Antisemitismus
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